Erntezeit

Die Saisonkräfte fehlen

Ein Artikel von Renate Stoiber | 19.03.2020 - 13:53

Immer mehr Länder schließen ihre Grenzen um gegen die weitere Verbreitung von COVID-19 vorzugehen, das betrifft neben Warenlieferungen auch v. a. den Personenverkehr zwischen Ländern. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich steht die Pflanzung oder Ernte an bzw. hat sie bereits begonnen oder läuft gerade. Viele ausländische Saisonkräfte können nicht an ihren Arbeitsplatz gelangen und viele wollen auch in dieser Situation nach Hause zurück. Die Ein- und Ausreisebestimmungen ändern sich ständig und führen zu großen Unsicherheiten.

Heimische Betriebe vernetzen sich

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Immer mehr Länder in Europa schließen ihre Grenzen – Probleme bei Saisonkräften folgen © Johanna Poetsch/Shutterstock.com

Auch in Österreich zeigt sich das Problem deutlich. Wie die Wiener Zeitung berichtet, waren im April und Mai des vergangenen Jahres 25.000 bis 28.000 Menschen in der Landwirtschaft beschäftigt (inkl. Geringfügigkeit), die Hälfte davon waren ausländische Arbeitnehmer. Die Sorge ist, dass die entsprechenden Erntehelfer heuer nicht kommen bzw. nicht kommen können. Das gleiche gilt für die Lebensmittelverarbeitungsindustrie. Ministerium und Landwirtschaftskammern arbeiten intensiv an einer Lösung.

Die LKs von NÖ und Wien haben in Abstimmung mit den den anderen Landwirtschaftskammern nun eine Online-Plattform für die Arbeitskräftevermittlung gestartet, wo Betriebe, die Hilfe benötigen und tatkräftige Unterstützer zusammenfinden sollen. Hier können auch Betriebe, deren Arbeitskräfte derzeit nicht vollständig ausgelastet sind, das auf der Plattform melden und sie so für andere Betriebe verfügbar machen. Es kann aber auch jeder, der möchte (Studenten, zukünftige Hofübernehmer, Bauern, Personen mit Interesse, ...) seine Mithilfe anbieten.

"Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Zusammenarbeit und des Anstellungsverhältnisses. Die Landwirtschaftskammern NÖ und Wien arbeiten gemeinsam mit dem Maschinenring NÖ-Wien, der aufgrund seiner Erfahrung in diesem Bereich ein möglicher Partner bei der Umsetzung vor Ort ist, mit Hochdruck an der Umsetzung praktikabler Lösungen für beide Seiten. Auch die Landwirtschaftskammern der anderen Bundesländer werden dieses Modell ebenfalls in den nächsten Tagen umsetzen", so die Pressemeldung zum Thema.

Auch Josef Peck, Vorstand der LGV Frischgemüse, fordert einen erleichterten Grenzübertritt für die Pendler aus dem Ausland. Die Genossenschaft vereint 150 Familienbetriebe, die Obst und Gemüse anbauen und auch diese haben viele Helfer aus dem Ausland. Zusätzlich seien Leute bei Sortierung, Verpackung und Logistik gefragt, denn frisches Gemüse lässt sich im Gegensatz zum Obst meist nicht lange lagern. Man brauche mehr Leute, z. B. auch aus der Gastronomie, schlägt Peck vor.

Wie reagiert das Ausland auf die Situation?

Der ZVG wendet sich in Deutschland an Bundesminister des Inneren Horst Seehofer und Bundesaußenminister Heiko Maas und bittet dringend darum, die Anreise der ausländischen Saisonkräfte sicherzustellen. Wenn die Erntearbeiter fehlen sei die Versorgung mit Lebensmitteln nicht mehr ausreichend gegeben und wenn die nötigen Pflanzungen nicht durchgeführt werden können, ist die Ernte für das nächste Jahr auch nicht ausreichend. Ausserdem spricht er sich dafür aus, eine Reihe kurzfristiger Ausnahmen und Abänderungen beim Arbeitszeitgesetz und anderen Arbeitsregelungen durchzuführen. Damit soll es für Arbeitskräfte, die bereits im Lande sind, möglich sein weiterzuarbeiten (sozialversicherungsfreie Beschäftigung ist nur bis zu 70 Tage möglich).
ZVG-Präsident Jürgen Mertz stellt noch eine zentrale Forderung an die Politik. Es braucht zur Unterstützung des Gartenbaus nicht rückzahlbare Förderungen um die laufenden Fixkosten zu decken. Überbrückungskredite müssten zurückgezahlt werden, und die seien bei der Ertrags- und Kapitalsituation der meisten Betriebe nur schwer zu leisten.

Auch der Landwirtschaftliche Informationsdienst LID berichtet über Probleme bei der Einreise ausländischer Arbeitskräfte in die Schweiz. Arbeitgeber müssen dort für sie eine offizielle Aufenthaltserlaubnis beantragen. Ein Arbeitsvertrag reicht bald schon nicht mehr aus um ins Land einreisen zu dürfen, wie der Schweizer Bauernverband (SBV) meldet. Während acht Tagen soll aber eine Ausnahmeregelung für die Landwirtschaft laufen.

In den Niederlanden führt man derzeit eine Bestandsaufnahme unter den landwirtschaftlichen Arbeitgebern durch. Die Signale seien besorgniserregend, da immer mehr europäische Länder Reisebeschränkungen verhängen. Die Landwirtschafts- und Gartenbauorganisation (LTO) Nederland fordert auch auf europäischer Ebene, die freie Bewegung von Menschen zu unterstützen, die für die Lebensmittelversorgung entscheidend sind. Eine Plattform, wo Angebot und Nachfrage für Personal abgestimmt werden kann soll in Kürze online gehen.

Warentransport über die Grenzen

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Personelle Engpässe im LKW-Bereich kündigen sich an © Vera NewSib/Shutterstock.com

Der Deutsche Fruchthandelsverband (DFHV) meldet zwar, dass die Versorgung mit frischen Lebensmitteln gesichert sein, sieht aber für die Zukunft personelle Schwierigkeiten im Transportbereich kommen. Der bereits jetzt bestehende Engpass bei LKW-Fahrer wird sich verstärken, v. a. Fahrer aus dem Ausland würden ihr Heimatland nicht verlassen. Und das weniger aus Angst vor Ansteckung als aus Sorge, dass sie nicht mehr zurückkehren können. Deshalb fordert der DFHV bindende Zusicherungen aller nationalen Regierungen, dass LKW-Fahrer nicht unnötig festgesetzt oder in Quarantäne gesetzt werden. Die Lockerung des Wochenend-Fahrverbots begrüße man sehr.

Bereits am Montag hat die Europäische Kommission anlässlich der Corona-Krise Leitlinien zu Kontrollen an den Binnengrenzen vorgelegt. Im Zentrum stehe der Schutz der Gesundheit sowie der Verfügbarkeit von Waren und essentiellen Dienstleistungen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betont aber, dass die Maßnahmen zur Eindämmung nur dann wirksam sein werden, wenn sie auf europäischer Ebene koordiniert sind. Es müsse dafür gesorgt sein, dass die Waren und wesentlichen Dienstleistungen im Binnenmarkt weiter fließen können. Für Waren, die sich rechtmäßig im EU-Binnenmarkt bewegen, sollten keine zusätzlichen Zertifizierungen vorgeschrieben werden. Laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit gibt es keine Hinweise darauf, dass Lebensmittel eine Quelle oder eine Übertragungsquelle für das Virus sind.

Eine interaktive Karte zeigt die aktuellen Wartezeiten an den europäischen Grenzübergängen.


Quellen: derstandard.at, DFHV, EU-Kommission, LID, LK NÖ, LTO, WZ, ZVG