Die Nachfrage und Aufnahmekapazität der Märkte muss bei Nischenkulturen kritisch betrachtet werden. Nicht übersehen werden darf, dass Saatgut oder Jungpflanzen von Nischenkulturen unter Umständen im Handel nur sehr begrenzt oder kaum angeboten werden.
Fruchtzierde
Eine Nischenkultur im Bereich Schnittgrün stellt Asclepias physocarpa (syn. Gomphocarpus physocarpus) dar, das so genannte „Ballongrün“. Im Gegensatz zu den Schnittblumen Asclepias curassavica und Asclepias tuberosa sind bei Asclepias physocarpa nicht die Blüten, sondern die 6 – 8 cm großen, ballonförmig aufgeblasenen Früchte floristisch interessant. Sie sind nahezu rund, blassgrün gefärbt, tragen weißsilbrige Längsfurchen und sind dicht mit kurzen, borstenartigen Haken besetzt.
Die Früchte der sehr ähnlichen Asclepias fruticosa sind eher oval und gelbgrün; ihre Kultur dürfte vergleichbar sein. Bei beiden Arten enthalten die auf einem kurzen Stiel sitzenden Früchte zahlreiche Samen mit den für Asclepiadaceae typischen seidigen Haaren.
Kultur lohnenswert
Verwendet werden die Früchte in der anspruchsvollen Floristik entweder einzeln als dekoratives Element oder zu mehreren am teilweise entblätterten Trieb belassen. ‘Ballongrün’ steht aus Importen zur Verfügung, kann aber, wie wir zeigen, für die Absatzzeit September bis Dezember auch in unseren Breiten produziert werden.
Das Gartenbauzentrum des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen (LLH), Wiesbaden/D, beschäftigt sich mit Fragen zur Produktion von Schnittgrün unter Glas. Ziel der Versuchsarbeit ist es, mit hochwertigem und absolut frischem Schnittgrün aus eigener Produktion die Position insbesondere von Einzelhandelsgärtnereien mit kreativer Floristik im Wettbewerb zu stärken und ein Kulturverfahren zum Anbau im Anschluss an das Beet- und Balkonpflanzengeschäft als Sommernutzung freier Gewächshausflächen zu erarbeiten.
Kultur bis KW 42
Die Kultur erfolgte auf vorhandenen Anstautischen in 5 l Containern. Es wurde vorab unterstellt, dass die Gewächshausfläche nur bis zur KW 42 zur Verfügung steht. Entsprechend wurden die Erträge nur bis zu dieser Woche erfasst, auch wenn die Versuche teilweise länger liefen. Intensiv wurden unterschiedliche Aussaattermine und die Induktionsbedingungen untersucht.
Breitwürfige Aussaat
Saatgut oder Jungpflanzen von Asclepias physocarpa sind selten zu erhalten. In Wiesbaden wurde aus zugekauften bzw. selbstproduzierten Früchten gewonnener Samen verwendet. Zu empfehlen ist die breitwürfige Aussaat bei 20 °C ab Mitte Jänner bis spätestens KW 10; spätere Aussaattermine bringen geringe oder keine Erträge. In den Versuchen wurde vier Wochen nach der Aussaat in 5 cm Multiplatten pikiert, nach weiteren 6 bis 8 Wochen in 10er- Zwischentöpfe getopft und Topf an Topf bei mindestens 18 °/16 °C weiterkultiviert. Die Pflanzen wuchsen zügig und erhielten eine Ständigdüngung mit 0,05 % eines N-betonten Volldüngers.
Mitte Juni wurde in 5 l-Containern (Klasmann Grodansubstrat) umgetopft und mit 6 Pflanzen/Nm² aufgestellt. Kleinere Container führen schnell zu Problemen hinsichtlich der Wasserversorgung und der Standfestigkeit. Da die Pflanzen überhängend wachsen, ist es anzuraten, sie auf der Tischmitte in einer Reihe aufzustellen. Die Bewässerung wurde mittels einfacher Zeitschaltuhren gesteuert und je nach Einstrahlung bis zu vier mal täglich bewässert. Drei Wochen nach dem Eintopfen in den Container setzte die Bewässerungsdüngung mit 0,1 % Flory 2 Mega (wegen der sehr geringen Wasserhärte in Wiesbaden) ein. Mit der Fruchtbildung steigt der Düngerbedarf der Pflanzen an, jetzt sollte die Konzentration leicht erhöht werden. Schlecht ernährte Pflanzen bilden weniger Früchte und es kommt zu starken Chlorosen älterer Blätter.
Wuchshöhe bis 3 m
Asclepias physocarpa entwickeln sich zu (sehr) großen, stabilen Pflanzen. Zunächst wächst die Pflanze bis zu einer Höhe von ca. 60 - 80 cm eintriebig, erst mit der einsetzenden Blüte bilden sich zahlreiche Seitentriebe. Sie erreichen eine Länge von ca. 100 - 120 cm, der Haupttrieb wächst ununterbrochen weiter. Die Pflanzen erreichen im Laufe des Sommers schnell 2 bis 3 m Höhe und hängen durch die zahlreichen Seitentriebe über. Der Einsatz von Netzen ist anzuraten. Die Kultur selbst ist problemlos. Allerdings zwingt der hohe Druck durch Weiße Fliege zu einer aufmerksamen Kontrolle. Die bei unzureichender Bekämpfung durch Rußtaupilze verschmutzten Früchte sind nicht vermarktungsfähig.
Wird Encarsia formosa gegen die Weiße Fliege eingesetzt, ist die Anzahl der Nützlinge mit zunehmender Pflanzengröße gegebenenfalls zu erhöhen. Bei chemischem Pflanzenschutz sind Nebelgeräte zu empfehlen, da mit zunehmender Pflanzengröße der immer dichter werdende Pflanzenbestand die optimale Ausbringung per Spritze erschwert. Sonstige Krankheiten oder Schädlinge traten in den Versuchen nicht auf. Eine mehrjährige Kultur mit scharfem Rückschnitt im Herbst ist möglich, bringt aber keine Vorteile. Sinnvoller ist es, Asclepias physocarpa einjährig zu kultivieren.
Induktion unabhängig von Tageslänge
Im ersten Versuch mit Asclepias physocarpa erschienen die Blüten ab Mitte Juli an den jetzt etwa 60 bis 80 cm langen Haupttrieben. Der vermutete Einfluss der Tageslänge konnte in Folgeversuchen mit sehr unterschiedlichen Aussaatterminen nicht bestätigt werden. Statt- dessen wurde deutlich, dass die Blüten stets nach 30 bis 32 ausgebildeten Blattpaaren erschienen. Die Induktion könnte demnach eine entsprechende Mindestblattzahl voraussetzen.
Das Triebwachstum selbst kommt nicht zum Abschluss und in den Blattachseln entstehen laufend neue Blüten.
Im November wird Blüte beendet
Vermutlich infolge der zurückgehenden Einstrahlung bildeten sich ab November keine Blüten mehr und vorhandene Knospen fielen ab. Hierzu erfolgten keine weiteren Untersuchungen. An den Blüten sind die unterschiedlichen Insektenarten zu finden, die für die Bestäubung sorgen. Bei Kultur- und Erntearbeiten kann die starke Nektarbildung der Blüten unangenehm werden. Die Früchte erscheinen 4 bis 5 Wochen nach der Befruchtung und entwickeln sich in weiteren 4 Wochen zu ihrer Endgröße von 6 bis 8 cm Durchmesser. Allerdings entwickeln sich nicht aus allen Blüten Früchte. Durch das fortgesetzte Triebwachstum sitzen die erntereifen Früchte im unteren bis mittleren Bereich der Triebe.
Eine Kultur der Container im Freiland wurde probeweise untersucht. Dabei kam es zu Schäden durch Vögel, die die Früchte anpickten bzw. ausrissen und die damit wertlos waren. Niedrige Herbsttemperaturen führten zudem zu einer bräunlichen Verfärbung der Früchte.
Ernte und Marktaufbereitung
Erntefähig sind Triebe mit mindestens fünf vollständig ausgebildeten Früchten. Der beim Schnitt austretende Milchsaft ist durch kurzes Eintauchen in heißes Wasser einfach zu stoppen, so dass es zu keinen Verschmutzungen kommt. Zur Marktaufbereitung werden teilweise das Laub, eventuelle Seitentriebe und die Triebspitze oberhalb der optimal ausgebildeten Früchte, entfernt. Im Rhein-Main-Gebiet werden Asclepias physocarpa-Triebe im 5er Bund vermarktet.
Einzelne Früchte sind zu 20 Stück im Folienbeutel absetzbar, so dass auch schwächer besetzte Triebe und einzeln stehende Früchte genutzt werden können.
Für gut besetzte Triebe wurden im regionalen Großhandel je 1,25 bis 1,50 €, für die einzelnen Früchte je ca. 0,25 € erzielt. Die Haltbarkeit der Triebe lag in Wasser ohne Frischhaltemittel bei über 14 Tagen; die einzelnen Früchte behielten für 3 Wochen ihre Form, ehe sie eintrockneten. Die Verwendung in der Trockenbinderei ist nicht möglich.
Bis 16 Triebe pro m²
Die Asclepias physocarpa standen mit 6 Pflanzen pro Nm² 18 Wochen auf der Produktionsfläche. Bis KW 42 konnten pro Nm² 15 bis 16 gut besetzte Triebe (Haupt- und Seitentriebe) geerntet werden. Weitere danach noch geerntete Triebe wurden in der Kosten-Leistungs-Rechnung nicht mit eingerechnet. Pro Nm² konnten in der kurzen Erntezeit 23,50 € erlöst werden. Von 75 % Nettofläche ausgehend, entspricht dies einem Erlös von 17,60 €/m² Glasfläche in den 18 Wochen. Auf 52 Wochen hochgerechnet, ergibt sich eine jährliche Flächenproduktivität von 51 €/m² Glasfläche, die mit den Ergebnissen erfolgreicher Schnittblumenbetriebe vergleichbar ist.
Ohne Berücksichtigung der Saatgutkosten erreicht 'Ballongrün' eine direktkostenfreie Leistung von fast 85 €/1000 NTm². Ein Wert, der deutlich macht, dass der Anbau von Asclepias physocarpa betriebswirtschaftlich interessant ist. Dabei darf allerdings die Aufnahmekapazität des Marktes nicht überschätzt werden. Die Exklusivität des Nischenproduktes muss gewahrt bleiben. Dies schließt die gezielte Verarbeitung in der kreativen Floristik ein.
Kulturverlauf bei sehr früher Aussaat in KW 02
Aussaat: KW 02
Temperatur: 20 °C
Pikieren: KW 06 (5 cm Multiplatten)
Temperatur: 18/16 °C
Umtopfen in 10er-KT: KW 13
Umtopfen in 5 l Container: KW 24
Substrat: Klasmann Grodan Substrat
Standweite: 6 Pfl/Nm²
Ständigdüngung: ab KW 27; 0,1 % Flory 2 Mega ab Blüte leicht erhöht
Bewässerung: Zeitschaltuhren, 1 – 4 Impulse/Tag
Heizungssolltemperatur: 16/14 °C
Ernte Beginn: KW 38
Ernte Ende: KW 42
Direktkostenfreie Leistung von Asclepias physocarpa in €/Netto-m² (Nm²) bzw. €/1000 Netto-Tagesquadratmeter (NTm²) auf der Basis des beschriebenen Versuches (ohne Saatgutkosten)
Erlös pro Nm² 23,50 €
Direktkosten pro Netto-m²
Saatgut nicht erfasst
Heizkosten (Rhein-Main-Gebiet)Anzucht (18/16 °C), Kultur (16/14 °C)Heizöl EL insgesamt: 3 l/Brutto-m²Bei 75 % Netto = 4 l/Netto-m²Heizkosten bei 0,40 €/l: 2,20 €
Substrat: 1,50 €
Container: 1,50 €
Wasser, Düngung, Pflanzenschutz: 3,00 €
Vermarktungskosten : 4,70 €(20 % vom Erlös)
Summe der Direktkosten ohne Saatgut: 12,90 € –12,90 €
Direktkostenfreie Leistung/Netto-m²: 10,60 €
(ohne Saatgutkosten)Direktkostenfreie Leistung/NTm²,der Versuch stand 125 Tage10,60 €/125 NTm² = 0,0848 €/NTm²0,0848 €/NTm² x 1000 = 84,80 €/1000 NTm²
Direktkostenfreie Leistung/ 1000 NTm²: 84,80 €
(ohne Saatgutkosten)