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Das Maßnahmenpaket „Fit for 55“ führe zu mehr Abholzung und Verlust von CO2-Speichern, so die Forscher © N K/Shutterstock.com

Europa

Forscher kritisieren Plan zur EU-Klimaneutralität

Ein Artikel von Renate Stoiber (bearbeitet) | 01.12.2022 - 11:32

In einem Kommentar im Fachjournal „Nature“ wies ein Team aus Landnutzungs- und Klimaforschern darauf hin, dass das geplante Paket zur CO2-Reduzierung viele gute Ansätze aufzeige, durch falsche Anreize aber in Zukunft noch mehr wertvolle Flächen statt für Nahrung für Holz genutzt würden, sowie für die Gewinnung von Bio-Kraftstoffen. Das treibe die Auslagerung der Lebensmittelproduktion ins Ausland und die Waldabholzung voran. Dadurch wirkt sich die Förderung der Bioenergie negativ auf die Speicherung von CO2 sowie die Biodiversität aus.

Ziel: Senkung der Treibhausgasemissionen

Beim Paket „Fit für 55“, das im Rahmen des europäischen „Green Deal“ auf den Weg gebracht wird, handelt es sich um eine Reihe von Vorschlägen zur Überarbeitung und Aktualisierung der EU-Rechtsvorschriften. Zusätzlich enthält es Vorschläge für neue Initiativen, die sicherstellen sollen, dass die Maßnahmen der EU mit den Klimazielen in Einklang stehen, die der Rat und das Europäische Parlament vereinbart haben. Der Name bezieht sich darauf, dass die CO2-Emissionen in der EU bis 2030 um 55 % gegenüber dem Wert von 1990 reduziert werden.

„Das Problematische am „Fit for 55“-Paket ist, dass der Anbau von Biomasse generell für CO2-neutral erklärt und deshalb gefördert wird. Bioenergie ist aber nicht CO2-neutral“, so Thomas Kastner, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt. Die EU ignoriere die Folgen von gesteigerter Landnutzung, denn die Flächen für Bioenergie-Produktion stehen einerseits nicht für Nahrungsmittel zur Verfügung und Lebensmittel müssen importiert werden. Dabei kommt es in anderen Ländern wiederum zur Abholzung von Wäldern und verlagert so das Problem. Andererseits fehlen die zur Bioenergie-Produktion genutzten Flächen als CO2-Speicher und Lebensraum für gefährdete Arten.

Der Erstautor des Kommentars, Timothy D. Searchinger vom Center for Policy Research on Energy and the Environment der Universität Princeton ergänzt, dass man zugleich auch falsche Anreize für Energie-Kunden setze, denn Industrie, Energie- und Transportunternehmen erhalten Emissionsgutschriften für die Bioenergie-Nutzung – unabhängig von den tatsächlichen Auswirkungen auf die CO2-Bilanz. Beispielsweise führe der Abbau von Holz zur Energiegewinnung für Jahrzehnte zu einer höheren Konzentration in der Atmosphäre.

Verbesserungen sind möglich

Gleichzeitig sehen die Forscher aber auch Potenziale zur „Einsparung“ von bis zu 17 Mio ha Anbaufläche bis 2050. Dafür müsse Europa z. B. den Verbrauch von Biokraftstoff auf das Level von 2010 senken. Der verringerte Flächenverbrauch würde es dann erlauben, Moore zu renaturieren und Altwälder zu erhalten, die als wichtiger Raum für biologische Vielfalt und CO2-Speicher dienen. Zur Verbesserung des Pakets sowie dem Abbau falscher Anreize, plädieren die Wissenschafter dafür, eine realistischere Berechnung der CO2-Bilanz von Bioenergie durchzuführen.

Kastner dazu: „Die EU sollte die CO2-Opportunitätskosten der Bioenergie – also das durch die Landnutzung entgangene CO2-Speicher-Potenzial − in die Berechnungsgrundlagen für alle Klima- und Energiegesetze einbeziehen. Landnutzung ist nie „umsonst“, für das Klima und die CO2-Bilanz hat sie immer einen Preis. Der muss in den EU-Klimazielen abgebildet sein. Nur so können die geplanten Maßnahmen effektiv den Klimaschutz und die Biodiversität fördern.“


Quelle: Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung