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Blaue Glocken und Federnbusch

Ein Artikel von DI Jürgen Knickmann | 20.05.2005 - 14:04
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Die Alpen-Waldrebe besitzt ihre Hauptverbreitung in den Bergen von Mittel- und Südeuropa schwerpunktmäßig in den Alpen, im nördlichen Apennin und den Karpaten. Beschrieben werden isolierte Vorkommen in den französischen Pyrenäen und in West-Bulgarien. Die österreichische Exkursionsflora teilt uns mit, es gäbe sie zerstreut von der obermontanen bis zu subalpinen Höhenstufe, vorwiegend in lichten Blockwäldern und als Bewohner von Alpenrosen- und Legföhrengebüschen.

Nährstoffarm bevorzugt. Die Alpen-Waldrebe wächst auf mehr oder weniger frischen, nährstoffarmen, basenreichen, sauren, humosen, mehr oder weniger steinigen Lehmböden. In Deutschland ist Clematis alpina eine der Differenzialarten im bodensauren Lärchen-Zirbenwald (Vaccinio-Pinetum cembrae), z. B. in den Berchtesgadener Alpen zwischen 1600 und 1900 müNN. Sie steht dort mit Larix decidua, Pinus cembra, Rhododendron hirsutum und/oder Rhododendron ferrugineum, Vaccinium uliginosum, Lonicera caerulea, Juniperus sibirica, Picea abies, Vaccinium vitis-idaea und Vaccinium myrtillus.

Nomenklatur. In älteren Floren findet sich noch der Gattungsname Atragene, diese Trennung von Clematis geht zurück auf Carl Linnaeus und ist heute nicht mehr anerkannt. Die Taxonomen benutzen den Begriff allerdings nach wie vor, JOHNSON spricht von der Sektion Atragene und GREY-WILSON unterteilt die Gattung in neun Untergattungen. Nummer sechs ist der Subgenus Atragene, er enthält Clematis alpina und alle mit ihr verwandten 17 Arten. Clematis alpina wurde früher von manchen Autoren in zwei Unterarten getrennt:
C. alpina subsp. alpina und C.alpina subsp. sibirica. Letztgenannte besitzt auffällig (creme-) weiße Blüten und wird mittlerweile als eigene Art Clematis sibirica, Sibirische Waldrebe, aufgefasst. Hier sei kurz eine Korrektur des ZANDER (2002) erlaubt, der als gültiges Synonym für C. sibirica die asiatische Art Clematis turkestanica angibt. Aufsammlungen der Turkestan-Waldrebe in Nord Pakistan wurden tatsächlich anfangs für C. sibirica gehalten und erst 1997 erfolgte eine Korrektur und die Beschreibung von Clematis turkestanica durch MAGNUS JOHNSON aus Schweden. Die Sorten (Kultivare) können entweder, wenn sie wirklich nur Abkömmlinge der Art sind, ihr direkt zugeordnet werden (Bsp. Clematis alpina 'Pamela Jackman'), bei hybridogener Abstammung verwendet das in Nomenklaturfragen verpflichtende Register der englischen Königlichen Gartenbaugesellschaft (RHS 2002) die Zuordnung zur Atragene Gruppe (Bsp. Clematis – Atragene Gruppe – 'Ruby').

Reaktion auf Berührung. Das Blatt ist in der Regel doppelt dreigeteilt, manchmal mit einem ±tief 2 – 3 gelappten Seitenblatt. Es besteht meist aus neun Blättchen, die grob gesägt sind. Das Endsegment ist oft schmal und spitz eiförmig mit breiter keilförmiger, fast gerundeter Basis, gewöhnlich mit einem durchgehenden Mittelnerv. Der Blattstiel ist ca. 5 cm lang, oberseits rinnig, gerippt und fein behaart. Er reagiert empfindlich auf Berührung und schlingt sich um Äste oder ähnliche umwickelbare Objekte. Die Stiele sind fein behaart und ebenfalls schlingend. Da die Blattstiele an den Zweigen haften bleiben, gibt es keine Blattnarben. Die Sprosse sind sechsfach gerippt, anfangs grün, dicht feinhaarig, später verkahlend und hellbraun bis kastanienbraun. Die Pflanze erreicht eine Höhe von 2 – 2,5 (–3)m und gehört damit zu den mittelstark wüchsigen Arten.

Violett- bis lavendelblau. Die Alpen-Waldrebe blüht von Mai bis Juli. Ihre Blüten erscheinen einzeln an Kurztrieben aus dem vorjährigen Holz. Sie sind glockenförmig und nickend. Die Größe variiert, der Blütendurchmesser beträgt aber i. d. R. 5 cm. Auch die Farbe ist variabel, typischerweise aber violettblau (Dauphins Violet HCC 39/1 – 3) bis lavendelblau (Lobelia Blue HCC 41/1). Formen mit weißen, rötlich-violetten oder heller violettblauen Tepalen kommen selten wild vor, werden aber häufig kultiviert.
Ein charakteristisches Merkmal der Clematis-Arten in der Untergattung Atragene sind die Staminodien (umgewandelte Staubblätter). Bei C. alpina sind sie typischerweise zur Spitze hin allmählich eiförmig vergrößert und abgerundet. Dabei können einige fast spitz oder zugespitzt aussehen und sind dann mit verkümmerten Antheren ausgestattet oder manchmal etwas eingekerbt. Die Blüte kann 8 – 14 Staminodien besitzen, einige davon (3 – 7) sind größer und breiter, fast blumenblattähnlich entwickelt. Sie sind 12 – 15 mm lang, und ca. 6 mm breit. Bei der Fruchtform der Clematis alpina handelt es sich um Einblatt-Nüsse. Sie sind eiförmig, ca. 2 mm lang, 1,5mm breit, behaart und dunkelbraun. Die Griffel werden bei Reife zu 3–4cm langen, abstehend behaarten Fruchtschwänzen, die auf die Verbreitung durch Wind deuten.

Kahlfraß durch Blattwespen. Auf Clematis-Arten kommen Vertreter der für Menschen ungefährlichen Blattwespen (Tenthredinidae) vor, an der Alpen-Waldrebe wurde die 7 – 8 mm große Eurhadinoceraea ventralis gefunden. Die Imago fällt auf durch das rotgelbe Abdomen und lange Antennen, der Thorax ist völlig schwarz und die Flügel dunkel rauchig gefärbt, insbesondere in der unteren Hälfte. Die Weibchen legen Eier in einen Zweig, Blattstiel oder in die Nerven eines Blattes. Es kommt zu bläschenartigen Bildungen, aus denen die Larven schlüpfen. Sie wandern auf die Blätter und können in Gartenkultur völligen Kahlfraß verursachen.

Clematis-Welke. Blätter und junge weiche Triebe werden sehr gern von Schnecken gefressen. Hier muss rechtzeitig mit bewährten Methoden gegengesteuert werden. Auch Pilzkrankheiten können die Alpen-Waldrebe befallen. Bekannt als einer der Auslöser der gefürchteten Clematis-Welke ist Phoma clematidina (Clematis-Blattflecken und Stängelfäule), er kann auf Blättern anfangs hellbraune, später dunklere Blattflecken verursachen. Meist ist die Ausbreitung bei den kleinblumigen Waldreben aber eingeschränkt möglich und es kommt nicht zu den typischen Symptomen, die wir bei großblumigen fürchten.

Gut winterhart. Grundsätzlich eignen sich Clematis alpina und ihre Sorten für den Einsatz in kleinen Gärten. Die Art gilt als sehr winterhart und übersteht Temperaturen von bis zu minus 35 °C. In enger Anlehnung an die Naturstandorte bietet es sich an, sie in Gehölze wachsen zu lassen oder sie herabhängend von Felsen bzw. Mauern zu setzen. Nicht zu empfehlen ist die Südseite, sehr gut geeignet hingegen alle kühleren, absonnigen Gartenplätze (z. B. Nord-, Ost- oder Nordostwände von Gebäuden). Gerade in der pannonischen Region sind sonst Misserfolge vorprogrammiert. Alpen-Waldreben sind gut geeignet als dauerhafte, langlebige Kübelpflanzen, die kalte Winter mit durchfrierenden Topfballen gut überdauern. Der Balkon- oder Terrassenplatz sollte ebenfalls nicht heiß sein. Ansonsten eignen sich alle Arten von Kletterhilfen mit Gitterstruktur (Pergolen, Gerüste, Netze), die nicht zu dick für die rankenden Blattstiele sind und deren Maschenabstand mindestens 4 cm betragen sollte.

Faustregeln. Die Durchlässigkeit des Bodens kann mit mineralischen Zuschlägen verbessert werden. Zu sandige Standorte werden mit Kompost oder fertiger Pflanzerde behandelt. Da die Alpen-Waldreben am Naturstandort teils saure Böden besiedeln, aber auch auf Kalk stocken, ist in Gartenkultur die Verwendung auf beiden Standorten möglich. Als eine Faustregel für alle Kletterpflanzen gilt eine Pflanzlochgröße von 40 x 40 x 40cm. Eine weitere Faustregel, allerdings nur für Waldreben, ist das Tiefpflanzen des Topfballens ca. eine Handbreit unter Bodenoberkante.

Richtig pflanzen. Gleich nach dem Setzen wird durchdringend angegossen. Bitte nicht antreten, das ist unnötig und gefährdet nur die brüchigen Triebe. In weiterer Folge soll regelmäßig bodennah bewässert werden. Absolut unnötig ist das „Abbrausen" der Kletterpflanzen.
Die Alpen-Waldreben lassen sich von ihrem Nährstoffbedarf eher in eine mittelstark bedürftige Kategorie einordnen. Als Startdünger eignen sich z. B. organische Stickstoffe oder andere Depotdünger, die gleich beigemischt werden. Bereits eingewachsene Exemplare können im Frühjahr mit einer organisch aufgedüngten Mulchschicht versorgt werden. Die weiteren Gaben beginnen erst nach der Blütezeit und dürfen dann auch mineralisch sein, insgesamt werden wenige, kleine Gaben bis zum Spätsommer oder Frühherbst genügen. Gerade bei Kübeln bietet sich der einmalige Einsatz von Depotdüngern an, die in handlicher Form (Kegel, Tablette) angeboten werden.

Sparsamer Schnitt. Die Alpen-Waldrebe gehört zu den Altholzblühern, sie wird entweder gar nicht geschnitten oder bei Bedarf nur nach der Blüte. Es ist nicht so, dass sie den Schnitt zum falschen Zeitpunkt nicht übersteht, aber wahrscheinlich ist das meiste Blühholz danach verloren.
Die meisten angebotenen Arten/Sorten aus dem Subgenus Atragene oder der Atragene Gruppe können für die Gartenkultur sehr empfohlen werden. Clematis alpina und ihre nahen Verwandten sind gut geeignet für den Neueinsteiger, der sich dann nach ersten Erfolgen auch an etwas anspruchsvollere Vertreter wagen kann.

Gartensorten

Das Farbspektrum der Gartensorten umfasst diverse Blautöne ('Blue Dancer', 'Columbine', 'Cyanea', 'Frances Rivis', 'Frankie', 'Helsingborg', 'Pamela Jackman') aber auch Rottöne ('Orchid Purple', 'Rodomax'), Weiß ('Albiflora', 'Burford White', 'White Columbine') und Rosa ('Candy', 'Constance', 'Foxy'). Es gibt dabei zweifärbig wirkende Blüten ('Jacqueline du Pré', 'Willy'). In manchen Fällen handelt es sich bereits um Hybriden mit anderen, nahe verwandten Arten. Ein oft unter dem Namen der Wildart angebotener Typ blüht halb gefüllt und deutet damit klar auf eine Mitelternschaft von Clematis macropetala.