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© Mikael Broms/Shutterstock.com

CITIZEN SCIENCE PROJEKT

Pflanzenvielfalt in Deutschlands Gärten

Ein Artikel von Denise Wachschütz | 02.06.2025 - 11:18

Unter der Leitung der Universität Leipzig plant das Projektteam zunächst ein einjähriges Pilotvorhaben, um einen umfassenden Überblick darüber zu gewinnen, welche Pflanzen in den Gärten der Republik wachsen. „Gärten sind wichtige, aber bislang unterschätzte Refugien der Pflanzenvielfalt. In den letzten 20 Jahren ist das Forschungsinteresse an Gärten zwar deutlich gestiegen, doch eine flächendeckende Erhebung fehlt bislang – nicht nur in Deutschland“, erklärt Dr. Ingmar Staude, Projektleiter am Institut für Biologie der Universität Leipzig. Mit dem Projekt „GartenDiv“ soll genau diese Lücke geschlossen werden. Beteiligt sind unter anderem das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), das Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen – sowie der Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands (BKD).

Fragebögen mit gartenspezifischer ID

Für das Citizen-Science-Projekt wurde die bereits weit verbreitete App Flora Incognita – in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena und der Technischen Universität Ilmenau – speziell für die Anforderungen des Projekts angepasst. Mit Hilfe der App lässt sich die pflanzliche Vielfalt in Gärten erfassen – ganz gleich, ob es sich um Hausgärten, Kleingärten, Dachgärten oder Balkone handelt. Die teilnehmenden Gärtner fotografieren im Laufe des Jahres die Pflanzen in ihrem Garten und beantworten ergänzende Fragen zu ihren Beobachtungen.

Zum Projektstart wird zunächst ein Fragebogen ausgefüllt, der grundlegende Informationen über den jeweiligen Garten liefert – etwa zur Größe. Dabei wird eine individuelle Garten-ID generiert, mit deren Hilfe Wissenschaftler spätere Beobachtungen und Fragebögen eindeutig zuordnen können. Ergänzend dazu gibt es einen kurzen, beobachtungsspezifischen Fragebogen, der bei jeder Pflanzenmeldung ausgefüllt wird. Er enthält zum Beispiel Angaben zur Häufigkeit einer Art: Wie viele Individuen dieser Pflanze wachsen im Garten?

„Unser Ziel ist es, langfristig das größte Citizen-Science-Projekt zur Gartenbiodiversität im deutschsprachigen Raum aufzubauen. Damit wollen wir nicht nur wissenschaftliche Grundlagen schaffen, sondern auch ein gesellschaftliches Signal senden: Gärten zählen. Und jede:r kann etwas beitragen“, sagt Ingmar Staude.

Tausende Teilnehmende und flächendeckende Erhebungen als Ziel

Nach Abschluss der Pilotphase sollen schrittweise weitere Elemente in das Projekt integriert werden – darunter thematische Kampagnen und zusätzliche Fragebögen. Ziel ist es, eine bundesweite Erhebung mit Tausenden Teilnehmenden aus allen Regionen Deutschlands zu ermöglichen. „Unser Ziel ist es, GartenDiv über mehrere Jahre fortzuführen, um auch zeitliche Entwicklungen der Pflanzenvielfalt in Gärten beobachten zu können“, erklärt Staude.

Das Citizen-Science-Projekt verfolgt dabei nicht nur rein wissenschaftliche Zwecke: Es soll auch das Potenzial von Gärten für den Schutz gefährdeter Tierarten, etwa von Wildbienen, deutlich machen. Gleichzeitig trägt es zur Umweltbildung bei, indem es Menschen motiviert, ihre Gärten bewusster und biodiversitätsfreundlicher zu gestalten. So kann GartenDiv eine aktive Gemeinschaft schaffen und das ökologische Potenzial urbaner und privater Gärten sichtbarer machen.

Ein erster Schritt ist die gezielte Ansprache bestehender Nutzer der Flora Incognita App: Sie sollen auf das Projekt aufmerksam gemacht und dazu ermutigt werden, die Pflanzenvielfalt ihres Gartens bewusster zu erfassen und zu dokumentieren.

Einen besonderen Forschungsschwerpunkt setzt das Institut für Bienenschutz am Julius Kühn-Institut, das die Rolle von Gärten als Lebensraum für Wildbienen untersucht. „Mit ihrer hohen Vielfalt an Zierpflanzen, Nutzpflanzen und Kleinstrukturen sind Gärten potenzielle Hotspots für Wildbienen und andere Tiergruppen. Insbesondere Wildbienen benötigen ein vielfältiges Angebot an Blütenpflanzen, da viele Arten auf ganz bestimmte Pflanzenarten als Pollenquelle spezialisiert sind“, erklärt Wildbienenexperte Henri Greil vom Institut.

Auch der Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands (BKD) unterstützt das Vorhaben aktiv. Thomas Kleinworth vom BKD betont: „Die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft im Rahmen von GartenDiv bedeutet für uns die Chance, in ganz Deutschland ein Monitoring unserer Pflanzenvielfalt in den Kleingärten voranzubringen. Das Projekt soll motivieren, sich intensiver mit der Spontanvegetation im Garten zu beschäftigen.“

Überraschend artenreiche Gärten

„Kleingärten und Kleingartenanlagen sind nicht selten wahre Hotspots der Biodiversität. Viele gute Beispiele in ganz Deutschland zeigen, wie der Anbau von Obst und Gemüse und der Artenschutz bestens Hand in Hand gehen – dank der Vielzahl engagierter Kleingärtnerinnen und Kleingärtner sowie aktiver Funktionsträger,“ betont Thomas Kleinworth, Bundesfachberater des BKD.

Lange Zeit galten Gärten – sowohl im Naturschutz als auch in der Forschung – als künstlich, modern und damit ökologisch wenig relevant. In Deutschland werden Kleingärten beispielsweise in der Bundeskompensationsverordnung noch immer ähnlich behandelt wie Rasensportplätze. Doch dieses Bild beginnt sich allmählich zu verändern, wie auch Ingmar Staude von der Universität Leipzig beobachtet.

Zahlreiche aktuelle Studien belegen, dass Gärten oft überraschend artenreich sind – insbesondere bei Insekten wie Wildbienen, aber auch bei Pflanzen. In einzelnen Fällen wurden auf nur 900 Quadratmetern bis zu 30 Prozent der heimischen Pflanzenarten nachgewiesen, darunter sogar Arten, die in Deutschland als verschollen galten. Solche Funde haben das wissenschaftliche Interesse an Gärten in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt.

Gleichzeitig findet auch im Naturschutz ein Umdenken statt. Die lange Zeit übliche Trennung zwischen „wilder“ Natur und vom Menschen geschaffenen Räumen verliert zunehmend an Bedeutung. „In einer Welt voller neuer, menschengemachter Ökosysteme wird immer deutlicher: Auch Gärten sind Natur – und sie können Teil der Lösung für das Biodiversitätsproblem sein“, sagt Staude.


Quelle: uni-leipzig.de